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Gesellschaft und Umwelt

Die deutsche Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen bis heute

Bereits nach den ersten Begegnungen von EuropĂ€ern mit nicht-weißen Menschen in den Amerikas im 15. Jahrhundert brachten die zurĂŒckkehrenden Konquistadoren ErzĂ€hlungen ĂŒber wilde, primitive Menschen nach Europa. Diese ErzĂ€hlungen fĂ€rbten die Bilder und Vorstellungen, die man sich in Europa von „wilden Eingeborenen“ machte, und trugen zur Entstehung rassistischer Denkweisen bei, die sich ĂŒber die Jahrhunderte hinweg verfestigten. Sie beeinflussten, wie 100 Jahre spĂ€ter mit Menschen aus Afrika zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels umgegangen wurde, nochmal 200 Jahre spĂ€ter mit Menschen in den Kolonien, und sie prĂ€gen bis heute den Umgang mit Menschen aus Afrika und Schwarzen Menschen im 21. Jahrhundert.

Der Begriff ‚Kolonie‘ kommt vom lateinischen Wort ‚colonia‘ und bedeutete in der Antike eine „Ansiedlung außerhalb des römischen BĂŒrgergebietes“[1]. In der Neuzeit entwickelte sich der Kolonialismus zu einem Unrechtsystem, das auf Ungleichheit und Rassismus basierte und systematisch und gewaltsam einheimische und indigene Bevölkerungen ausbeutete. Diese Art der Unterwerfung anderer Völker und Gebiete wurde im Laufe der letzten 500 Jahre von vielen europĂ€ischen Staaten praktiziert.

Als große ehemalige KolonialmĂ€chte gelten Frankreich und England, als „Entdecker“ und Eroberer neuer Welten portugiesische Seefahrer. Doch die neuzeitlichen AnfĂ€nge der kolonialen Expansion gingen tatsĂ€chlich von Deutschland aus – eine Tatsache, die gerne vergessen wird. Mitten in Deutschland, in Berlin, lud Reichskanzler Bismarck 1884/1885 zur Afrika-Konferenz (auch als Kongo-Konferenz bekannt) ein. Auf dieser Konferenz teilten die Staaten Europas den afrikanischen Kontinent wie eine Torte untereinander auf. Doch nicht nur Afrika, auch Teile Asiens und viele Inseln im Pazifik wurden zu Kolonien.[2]

Dabei hatte Bismarck ursprĂŒnglich kein Interesse an Kolonien. Er sah voraus, dass Kolonien langfristig zu Konflikten fĂŒhren wĂŒrden. Doch ihn drĂ€ngten mĂ€chtige Wirtschaftsvertreter der Zeit, die Zugang zu billigen Rohstoffen und Arbeiter*innen haben wollten. „So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik“[3], sagte Bismarck vor der Konferenz noch kategorisch. Bei der Konferenzeröffnung dann erklĂ€rte Bismarck, Ziel sei es, „den Eingeborenen Afrikas den Anschluß an die Zivilisation zu ermöglichen, indem das Innere dieses Kontinents fĂŒr den Handel erschlossen wird[4].

[1] Dudenredaktion 2020

[2] vgl. Baumgart 1992; Geiger/Melber 2021

[3] Otto von Bismarck 1881, zit. nach: Winfried Baumgart, Bismarcks Kolonialpolitik, in: Johannes Kunisch 1992, S. 141–153

[4] zit. nach: Gatter 1984

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Gesellschaft und Umwelt

Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestĂŒrzt hat

Seit Menschengedenken tragen Völker und Nationen gewaltsam Konflikte aus. GrĂŒnde dafĂŒr gibt es viele. Im globalen SĂŒden liegen die Wurzeln der meisten aktuellen Konflikte jedoch im Kolonialismus, in der Eroberungs- und Unterwerfungspolitik, die Afrika zum Krisen- und Katastrophen-Kontinent gemacht hat.

Der globale Norden ist seit 1945 friedensverwöhnt. 80 Jahre weitgehend Ruhe und Wohlstand. In Afrika gibt es Regionen, die seit ĂŒber 100 Jahren nur Krieg kennen. In der heutigen Demokratischen Republik Kongo (DRC) haben die Menschen seit 130 Jahren keinen echten Frieden erlebt. Seit 1888 löst dort ein Konflikt den nĂ€chsten ab – von der Kongo-Krise ĂŒber die Shaba-Invasion und die drei Kongo-Kriege, bis zum Konflikt im Ostkongo. Im Jahr 1888 begehrten die Menschen auf gegen die Ausbeutung durch Belgiens König Leopold II., deren BrutalitĂ€t selbst fĂŒr damalige VerhĂ€ltnisse beispiellos war und international kritisiert wurde. Leopold musste seine Privatkolonie an den belgischen Staat verkaufen, doch Ă€nderte das vor Ort wenig. Weil dieses Land so reich an BodenschĂ€tzen ist, wird es bis heute ausgeblutet. Gerade macht die DRC erneut Schlagzeilen, M23-Rebellen aus Ruanda haben Tausende ermordet und ĂŒber 400.000 Menschen zur Flucht gezwungen. Die Wurzeln all dieser Konflikte liegen in Kolonialismus und Imperialismus. Teile und herrsche – mit dieser Politik hat Europa tiefe GrĂ€ben geschaffen.

BodenschĂ€tze fĂŒr Europa

In Ruanda lebten vor der Kolonialzeit Hutu, Tutsi und Twa in relativer Harmonie. Erst mit der belgischen Kolonisierung und der EinfĂŒhrung von Personalausweisen, die zwischen den Gruppen unterschieden, erwuchsen aus der Frage der Ethnie grĂ¶ĂŸte Spannungen. WĂ€hrend der gesamten Kolonialzeit wurde die Tutsi-Minderheit gegenĂŒber den Hutu bevorzugt. Bereits 1959 rebellierten Hutu gegen die belgische Kolonialmacht und die Ungerechtigkeiten und zwangen Tutsi zur Flucht. Man schĂ€tzt, dass Mitte der 60er Jahre die HĂ€lfte der Tutsi-Bevölkerung außerhalb Ruandas lebte. Im Jahr 1994 gipfelte der Konflikt im Völkermord, dem bis zu eine Million Menschen, ĂŒberwiegend Tutsi, zum Opfer fielen.

Seit ĂŒber 50 Jahren herrscht im Sudan Krieg. Hintergrund ist ebenfalls das koloniale Erbe, hier der Aufteilung Darfurs zwischen den StĂ€mmen, wobei einigen StĂ€mmen Landgebiete zugewiesen wurden und anderen nicht. Jahrzehnte der Trockenheit und WĂŒstenbildung verschĂ€rften die Konflikte. So hat auch der Darfur-Krieg, der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) als Völkermord an nicht-arabischen Völkern verurteilt wurde, seine Wurzeln im Kolonialismus.

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Film und Buch

„Togoland Projektionen“: Vom deutschen Kolonialtraum – eine historische Doku von JĂŒrgen Ellinghaus

Die deutsche Kolonialzeit wird in Togo noch von vielen verklĂ€rt. Weil sie lĂ€nger zurĂŒck liegt als die Zeit der Briten und Franzosen? Immer noch gibt es ein Denkmal der Deutsch-Togolesischen Freundschaft. Immer noch zieren PortrĂ€ts deutscher Kolonialgouverneure SchulgebĂ€ude. Und jedes Jahr im November wird am Volkstrauertag in Togo den verstorbenen Deutschen gedacht und gewĂŒrdigt. Sieben deutsche Friedhöfe gibt es in Togo, die Feierlichkeiten finden jedes Jahr an einem anderen dieser Orte statt. „Ich bin stolz darauf, dass es in Togo noch so viele deutsche Friedhöfe gibt“, sagt der deutsche Botschafter bei der Gedenkfeier 2022 – und meint es nicht ironisch. JĂŒrgen Ellinghaus begibt sich in seiner Doku auf den Spuren des Filmregisseurs Hans Schomburgk, der Anfang des letzten Jahrhunderts in die damalige deutsche Kolonie Togoland reiste, um exotische Bilder von wilden Menschen und wundersamen Tieren fĂŒr ein deutsches Publikum festzuhalten. Neben Aufnahmen fĂŒr den Spielfilm „Eine Weiße unter Kannibalen“ filmte er auch Dokumentarisches, welches die ganze BrutalitĂ€t der deutschen Kolonialherrschaft zeigt.

Über ein Jahrhundert spĂ€ter sehen Menschen in Togo zum ersten Mal Schomburgs Bilder und versuchen sie im Kontext von damals und heute einzuordnen. Die Älteren erinnern an den Widerstand von Ya Na Andandi, König der Dagbon, der sich den Kolonisatoren in den Weg stellte und dessen Hauptstadt Yendi von den deutschen „Schutz“-Truppen dem Boden gleich gemacht wurde. Zitate aus TagebĂŒchern jener Zeit sowie der Reisebericht der Schauspielerin Meg Gehrts schildern das ganze Ausmaß an Grausamkeiten und den tiefen Rassismus der Deutschen. In einem Tagebucheintrag beschreibt ein deutscher Offizier, wie er Dörfer hat niederbrennen lassen, und wie froh er darĂŒber sei, und Gott dafĂŒr dankt, dass niemand entkommen konnte. Um im nĂ€chsten Satz nur eine einzige Sache zu bedauern: den Tod seines geliebten Hundes, der in derselben Nacht starb, in dem er zahllose Menschen ermordet hat.

Die historischen Filmausschnitte sind extrem schmerzhaft anzuschauen (Trigger Warnung!) und es ist daher umso erstaunlicher, mit welcher Ruhe das Publikum in den Dörfern sich die Szenen aus der Vergangenheit ansieht – ohne Hass oder gar VorwĂŒrfe den Deutschen gegenĂŒber. Lediglich ein GefĂŒhl von UnverstĂ€ndnis kommt auf. Warum haben die Deutschen so etwas getan? Das ist die Frage, die sich viele stellen. Nur bei einer VorfĂŒhrung vor Studierenden in LomĂ© kommt endlich so etwas wie Wut und Kritik auf. Schomburgks Filme, so fordern sie, sollten in allen Schulen Togos gezeigt werden, um die Geschichte ins rechte Bild zu rĂŒcken. Eine Forderung, die auch fĂŒr alle deutschen Schulen gelten sollte. Denn noch immer gibt es in der ErzĂ€hlung dieses Kapitels deutscher Geschichte zu viele Auslassungen. Zum Wohlstand Deutschlands hat die „Musterkolonie“, als die Togoland galt, viel beigetragen und dabei sehr viel verloren. Das sollte jedes Schulkind in Togo und in Deutschland wissen.

Der Film lÀuft ab Mitte November bundesweit in ausgewÀhlten Kinos. (09.11.2024)

English review in The African Courier

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