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Film und Buch

Sommer Endspurt im Kino

Ach, was fĂŒr ein SommermĂ€rchen es hĂ€tte werden können! Die Fußball EM nicht nur in Deutschland, sondern viele Spiele sogar live vor Ort bei uns in NRW, in Köln, DĂŒsseldorf, Bochum, Dortmund. Trotz des miesen Wetters – gefĂŒhlt der nasseste und kĂ€lteste Sommer seit Tinagedenken – wĂ€re uns allen warm ums Herz geworden, wenn unsere Nationalelf es ins Finale, oder mindestens ins Halbfinale geschafft hĂ€tten. Wer hĂ€tte sich da ĂŒber mangelnde Sonnenstunden beschwert? Aber es sollte nicht sein. Dramatisch nahm der Traum vom SommermĂ€rchen im Viertelfinale ein Ende. Mit bösen Fouls und nicht nachvollziehbaren Schiri-Entscheidungen.

Was danach bei unseren Nachbarn in Frankreich im ersten Wahlgang passierte, konnte die miese Sommerlaune nur noch tiefer sinken lassen, auch wenn das Desaster im zweiten Wahlgang etwas gemildert wurde und der Rassemblement National nicht die prognostizierte absolute Mehrheit erlangte. Wo die Franzosen selten enttĂ€uschen, ist im Kino. (Liebes)komödien können die einfach, dass muss man ihnen lassen. Auch wenn sich die Geschichten Ă€hneln, finden sie immer wieder neue Wege und ĂŒberraschende AnsĂ€tze diese zu erzĂ€hlen. Wie in Philippe Lefebvres Adieu Cherie – Trennung auf Französisch, der von dem Trott  Trott einer eingefahrenen Ehe erzĂ€hlt. Als Thema nichts Neues, aber hier sehr originell mit Franck Dubosc und Karin Viard umgesetzt. Auch Multitalent Ivan CalbĂ©racs Liebesbriefe aus Nizza, in dem sich ein rĂŒckwirkend betrogener Ehemann um Wiedergutmachung seiner vermeintlich verlorenen Ehre bemĂŒht, ist zum Totlachen. Um den Tod geht es in Paris Paradies (OT „Paradis Paris“. Warum diese deutsche Titel-Umdrehung? FĂŒr mich wie so oft bei deutschen Umtitelungen schleierhaft), ein charmanter Episodenfilm, in dem die Schicksale verschiedener Pariser Bewohner:innen miteinander verbunden werden. So unterschiedlich die Figuren und ihre Geschichten sind, was sie eint, ist: der Tod oder zumindest die Gedanken daran. Was aber wiederum sehr, sehr komisch ist.  weiter lesen

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Film und Buch Gesellschaft und Umwelt Lifestyle

Schwarze Menschen anschauen? Zwei Neuerscheinungen

Derzeit erinnern sich viele Orte an ihre koloniale Vergangenheit. In Dortmund zeigt das LWL Museum Zeche Zollern aktuell und noch bis zum 26. Oktober 2025 die Ausstellung „Das ist kolonial“, in der versucht wird, Westfalens Rolle und (un)sichtbares Erbe der Kolonialzeit sichtbar zu machen.  In Dresden ist hingegen soeben im Stadtmuseum eine Werkausstellung ĂŒber koloniale Völkerschauen mit dem Titel „Menschen anSchauen“ zu Ende gegangen. Dort gab es nicht nur Exponate aus dem Fundus des Museums, sondern es wurde versucht, mit einem Begleitprogramm eine BrĂŒcke von damals bis heute zu schlagen. In Dresden, wie auch an vielen anderen Orten im Deutschen Reich wurden zur deutschen Kolonialzeit (und auch noch danach) Menschen aus den Kolonien zur Belustigung der deutschen Bevölkerung in sogenannten „Völkerschauen“ oder „Menschenzoos“ ausgestellt. Wie diese unmenschliche Praxis das Bild eines Großteils der damaligen Gesellschaft geprĂ€gt hat, wird durch die Ausstellung spĂŒrbar. Aber wenig prĂ€sent ist heute, dass die EindrĂŒcke und Bilder von vor ĂŒber 125 Jahren bis in die heutige Zeit nachwirken.

Im reich bebilderten Band „Menschen anSchauen“ werden viele historische Bilder zusammengetragen, die insbesondere fĂŒr von Rassismus betroffene Menschen (Trigger-Warnung!) sehr schmerzhaft zu betrachten sein können. Jedoch ist die Auseinandersetzung mit solchen Bildern nötig, wenn man sich mit der unrĂŒhmlichen Zeit auseinandersetzen will, als Menschen aus den Kolonien wie Tiere im Zoo vorgefĂŒhrt wurden. Gleich das erste Bild im Band macht den schizophrenen weißen Blick deutlich. Auf einem Foto, aufgenommen ca. 1909 steht ein (namenloser) Schwarzer Mann, vermutlich ein Völkerschau-Teilnehmer, Zigarette rauchend an einen Zaun gelehnt, vor einem Hinweisschild mit der Aufschrift „Achtung! Alle Tiere beißen.“ Eine Zigarette zu rauchen, gehörte damals zum guten Ton. Der Mann auf dem Bild raucht eine. Gleichzeitig ist er jedoch eingezĂ€unt und es wird vor bissigen Tieren gewarnt. Wie passt das zusammen? Der Band vereint nicht nur unangenehm anzuschauende Bilder, sondern liefert auch einige interessante lĂ€ngst vergessene Biografien und fordert dabei ein Nachdenken ĂŒber eine Praxis, die u.a. durch de GebrĂŒder Hagenbeck  zu einer im ganzen Land gĂ€ngigen FreizeitaktivitĂ€t wurde.  Gleichzeitig will das Buch helfen mit alten Sehgewohnheiten zu brechen, indem es die Wurzeln vieler kolonialer KontinuitĂ€ten sichtbar macht.  Selbst fĂŒr Leute, die sich schon ein wenig mit der Thematik befasst haben, dĂŒrfte das Buch Neues liefern. Etwa ĂŒber den „Nubier“ Hersi Egeh Gorseh, dessen Geschichte selbst in Somalia bis heute kaum bekannt ist. Oder  den „schwarzen Menschen“ Thomas Todmann, der ein hĂ€ufiger Darsteller in verschiedenen Schauen war. Aufschlussreich ist auch eine 6-seitige (!) Übersicht der Menschenschauen, die zwischen 1878 und 1934 allein in Dresden stattfanden. Fast 80 waren es an der Zahl.  Dies macht deutlich, dass solche Spektakel keine Randerscheinung waren, sondern fester Bestanteil einer  „Kultur“, die eine weiße Überlegenheit in den Köpfen einer breiten Gesellschaft verankerte. Denn selten ging es darum, fremde Kulturen wirklich kennenzulernen. Vielmehr wurden Menschen als exotisch, andersartig, primitiv zur Schau gestellt. So trugen diese Spektakel dazu bei, Schwarze Menschen und People of Colour herabzusetzen. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Rassismus in Deutschland lohnt sich ein Blick in dieses Buch, das deutlich zeigt, wo die Wurzeln liegen. Weder fĂŒr Schwarze noch fĂŒr weiße Menschen ist dies eine angenehme LektĂŒre. Aber lehrreich allemal.

Viel angenehmer ist hingegen das Buch „Afrika in Mode. Luxus, Handwerk und textiles Erbe“ von dem ghanaischen Designer Ken Kweku Nimo . Auch in diesem Band kann man viele Menschen anschauen, doch hier ist es nicht der white gaze, der vorherrscht, sondern ein Blick von Schwarzen Modemachern und Designern auf die afrikanische Modegeschichte. „Afrikanische“ Mode hat schon seit ĂŒber hundert Jahren Eingang auch in die westliche Modewelt gefunden. Selbst zu Zeiten, als man die Menschen als primitiv herabstufte, war und ist es immer noch chic oder avant garde, einzelne Elemente zu ĂŒbernehmen.  Kulturelle Aneignung nennen das manche.  Ein etwas problematischer Vorwurf wenn man bedenkt, dass Kunst sich oft durch Aneignung, Umwandlung und Umdeutung entwickelt. Kunst kann selten in einem Vakuum entstehen. Die bunten African Prints sind ein klassisches Beispiel in der Mode. Die vermeintlich typisch afrikanischen Stoffe mit ihren bunten Mustern, die das Straßenbild in allen LĂ€ndern sĂŒdlich der Sahara dominieren, stammen eigentlich aus Holland und haben ihren Ursprung in Java.  Auch die Perlen, die die einzigartige Perlenkunst vieler Ethnien wie etwa der  Xhosa, Zulu, Massai oder Ndebele hervorgebracht haben, haben ihren Ursprung jenseits von Afrika. EuropĂ€ische HĂ€ndler brachten sie einst aus Italien. Das erfĂ€hrt man im ersten Kapitel des Buchs, in dem es um die Geschichte der afrikanischen Mode geht. Der grĂ¶ĂŸte Teil des Bandes  widmet sich den zeitgenössischen Modedesigner:innen und deren Labels. Von Imane Ayissi (Kamerun) ĂŒber Taibo Bacar (Mosambik) bis zu Mimi Plange (Ghana) werden Designer:innen vorgestellt und ihre Kreationen gezeigt. Diese lassen sich mit jedem Haute Couture Label messen, sind aber außerhalb der Modebranche selbst den meisten Menschen unbekannt. WĂ€hrend fast jeder schon mal von Marken wie Chanel oder Gaultier gehört hat, kennen die wenigsten das Label Peuhl Vagabond von Dyenaa Diaw, die in ihren Kreationen Ensembles aus afrikanischen Webstoffen und gefĂ€rbten Textilien herstellt. HerrenanzĂŒge aus Batik, Jump-Suits, die waxprint mit fließender Seide kombinieren oder Roben aus gewebten marokkanischem Stoff mit SatinĂ€rmeln bieten Opulentes fĂŒrs Auge. Interviews mit einigen Top-Designer:innen des Kontinents ĂŒber ihren Inspirationen und wie sie Luxus definieren, runden den Band ab.

Auch wenn ich persönlich keines der vorgestellten Outfits tragen wĂŒrde, macht es wirklich Spaß durch dieses reich bebilderte Buch zu blĂ€ttern. Dabei lernt man nicht nur die Modeelite Afrikas kennen, sondern auch das eine oder andere ĂŒber die Geschichte von Stoffen wie Kente, Adinkra oder die allerorts beliebten wax prints, sowie woher die nĂ€chsten Toptrends kommen könnten.

Hier und Hier gibt es noch mehr zu lesen.

 

Menschen anSchauen, Selbst- und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen, Hrsg. Christina Ludwig, Andrea Rudolph, Thomas Steller u. Volker StrÀhle, 228 Seiten, Sandstein Verlag, 2024, 38,00 EUR.

Afrika in Mode. Luxus, Handwerk und textiles Erbe von Ken Kweku Nimo, 200 Seiten, Midas Verlag, 2024,  39,00 EUR.

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Film und Buch

Madame Sidonie in Japan

Die Geister, die sie losließ
„Madame Sidonie in Japan“
 von Élise Girard

„Are you a writer?“, fragt der Beamte am Flughafen, worauf die einst international gefeierte französische Schriftstellerin Sidonie Perceval (Isabelle Huppert) „Yes and no“ antwortet. Sidonie hat schon lange nichts mehr geschrieben. Seit dem Unfalltod ihres Mannes Antoine (August Diehl) lĂ€hmt sie eine Schreibblockade, die einhergeht mit einer Depression. Sidonie fĂŒhlt sich leer und antriebslos, zumal Antoine derjenige war, der im ehelichen Alltag die Dinge geregelt hat. Ohne ihn scheint Sidonie fast lebensunfĂ€hig zu sein. Als die Einladung ihres japanischen Verlegers Kenzo (Tsuyoshi Ihara) zu einer Lesereise durch Japan eintrifft, lehnt sie also zunĂ€chst ab. Zu schwach fĂŒhlt sie sich, um eine so lange Reise alleine anzutreten. Doch dass ihr Erstlingswerk nach fast vier Jahrzehnten in Japan eine Neuauflage genießt, kitzelt doch an ihrem Schriftstellerinnen-Stolz. Als Freunde sie drĂ€ngen und der Verleger zudem verspricht, sie mĂŒsse sich um nichts kĂŒmmern, nimmt Sidonie die Einladung an.

In Japan angekommen wird sie mit den ĂŒblichen im Kino gern gezeigten Bildern und Situationen – und auch immer wieder mit Antoines Geist – konfrontiert. Wann verbeugt man sich wie lange vor wem? Wer steigt zuerst in ein Fahrzeug? Warum sind Hotelfenster immer verriegelt? Und wie geht man mit den allgegenwĂ€rtigen Geistern um? NatĂŒrlich bewundert Sidonie die KirschblĂŒten, die Schreine und Tempel, die sanften Nebelschwaden, die vom Wasser hochsteigen und sich um die HĂŒgel legen. Regisseurin Girard bedient sich vieler der ĂŒblichen Japanbilder. Doch diese Klischees unterfĂŒttern hier keine Culture-Clash-Komödie, auch wenn dem Publikum hier und da ein Schmunzeln entlockt wird, zum Beispiel wenn Antoines Geist oft im falschen Moment auftaucht. In diesem poetischen, einfĂŒhlsamen Film geht es weniger um kulturelle Unterschiede, sondern vielmehr um GefĂŒhle wie Trauer, Verlust und Selbsthinterfragung. Sowie um die Fragen, die sich Menschen ab einem bestimmten Alter immer hĂ€ufiger stellen, wenn sie auf ihr Leben zurĂŒckblicken – egal ob in Europa oder in Japan. WĂ€hrend Sidonie nach dem Tod ihres Mannes völlig aufgelöst ist und in eine Depression zu fallen droht, geht Kenzo, der eine Ă€hnliche Verlusterfahrung erlebt hat, anders damit um. Hier spielen asiatische SpiritualitĂ€t und der Umgang seiner Kultur mit dem Tod eine entscheidende Rolle.

Die ersten Taxifahrten zu den Lesungen finden fast schweigend statt. Überhaupt wird wenig geredet in diesem Film. Doch mit jeder Fahrt erzĂ€hlen sich Autorin und Verleger mehr, lernen die jeweils andere Kultur, sich selbst und den anderen StĂŒck fĂŒr StĂŒck besser kennen. Was kann noch werden, wenn man sich öffnet? Wenn man sich nicht mehr so verloren fĂŒhlt? Es sind wunderschöne, ruhige Bilder ohne viele Worte, mit denen Élise Girard diese Geschichte ĂŒber das Älterwerden erzĂ€hlt. Um Leidenschaft darzustellen, braucht es keine zerwĂŒhlten Bettlaken. Es reichen manchmal nur zwei HĂ€nde, die sich auf einer TaxirĂŒckbank peu Ă  peu immer nĂ€herkommen, um sich am Ende zu berĂŒhren. auch hier zu lesen

Frankreich, Deutschland, Japan, Schweiz 2023, Laufzeit: 95 Min.
Regie: Élise Girard
Darsteller: Isabelle Huppert, Tsuyoshi Ihara, August Diehl
>> www.madamesidonieinjapan.de/