Kategorien
Gesellschaft und Umwelt

Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat

Seit Menschengedenken tragen Völker und Nationen gewaltsam Konflikte aus. Gründe dafür gibt es viele. Im globalen Süden liegen die Wurzeln der meisten aktuellen Konflikte jedoch im Kolonialismus, in der Eroberungs- und Unterwerfungspolitik, die Afrika zum Krisen- und Katastrophen-Kontinent gemacht hat.

Der globale Norden ist seit 1945 friedensverwöhnt. 80 Jahre weitgehend Ruhe und Wohlstand. In Afrika gibt es Regionen, die seit über 100 Jahren nur Krieg kennen. In der heutigen Demokratischen Republik Kongo (DRC) haben die Menschen seit 130 Jahren keinen echten Frieden erlebt. Seit 1888 löst dort ein Konflikt den nächsten ab – von der Kongo-Krise über die Shaba-Invasion und die drei Kongo-Kriege, bis zum Konflikt im Ostkongo. Im Jahr 1888 begehrten die Menschen auf gegen die Ausbeutung durch Belgiens König Leopold II., deren Brutalität selbst für damalige Verhältnisse beispiellos war und international kritisiert wurde. Leopold musste seine Privatkolonie an den belgischen Staat verkaufen, doch änderte das vor Ort wenig. Weil dieses Land so reich an Bodenschätzen ist, wird es bis heute ausgeblutet. Gerade macht die DRC erneut Schlagzeilen, M23-Rebellen aus Ruanda haben Tausende ermordet und über 400.000 Menschen zur Flucht gezwungen. Die Wurzeln all dieser Konflikte liegen in Kolonialismus und Imperialismus. Teile und herrsche – mit dieser Politik hat Europa tiefe Gräben geschaffen.

Bodenschätze für Europa

In Ruanda lebten vor der Kolonialzeit Hutu, Tutsi und Twa in relativer Harmonie. Erst mit der belgischen Kolonisierung und der Einführung von Personalausweisen, die zwischen den Gruppen unterschieden, erwuchsen aus der Frage der Ethnie größte Spannungen. Während der gesamten Kolonialzeit wurde die Tutsi-Minderheit gegenüber den Hutu bevorzugt. Bereits 1959 rebellierten Hutu gegen die belgische Kolonialmacht und die Ungerechtigkeiten und zwangen Tutsi zur Flucht. Man schätzt, dass Mitte der 60er Jahre die Hälfte der Tutsi-Bevölkerung außerhalb Ruandas lebte. Im Jahr 1994 gipfelte der Konflikt im Völkermord, dem bis zu eine Million Menschen, überwiegend Tutsi, zum Opfer fielen.

Seit über 50 Jahren herrscht im Sudan Krieg. Hintergrund ist ebenfalls das koloniale Erbe, hier der Aufteilung Darfurs zwischen den Stämmen, wobei einigen Stämmen Landgebiete zugewiesen wurden und anderen nicht. Jahrzehnte der Trockenheit und Wüstenbildung verschärften die Konflikte. So hat auch der Darfur-Krieg, der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) als Völkermord an nicht-arabischen Völkern verurteilt wurde, seine Wurzeln im Kolonialismus.

Weiter lesen auf choices.de

Kategorien
Gesellschaft und Umwelt Lifestyle und sonst noch

Glücklich erinnert

Das Gedächtnis ist das Tagebuch, das wir immer mit uns herumtragen.“ (Oscar Wilde). Mal scheint dieses Tagebuch vollgeschrieben zu sein, mal sind Seiten daraus scheinbar verschwunden. Woran erinnern wir uns? Woran wollen wir uns, woran sollten wir uns erinnern?

 

In meiner Familie wurde früher oft erzählt, wie ich als 4-Jährige am Hof des Asantehene, dem König der Asante, getanzt habe. Im Kleinkindalter hatte ich den Adowa Tanz von meiner Oma in Ghana gelernt. Sie war sehr stolz, wenn ihre kleine „weiße“ Enkelin dort tanzte.

Ich sehe mich heute noch, wie ich, in Kente gekleidet, die anmutigen Handbewegungen und komplexen Schritte mache und das Publikum mein mini me bewundert. Moment mal. Sehe ich mich wirklich? Ganz ehrlich: ich habe keinerlei wirkliche Erinnerung an diese Geschichte. Ich erinnere vielmehr die Erzählung darüber, eine übertragene Erinnerung. Die Erinnerung meiner Oma.

Es gibt Erwachsene, die erzählen von Erinnerungen aus ihrem frühkindlichen Leben. Sie können von Kindergarten-Ereignissen berichten, oder von Dingen, die passiert sind, als sie noch krabbelten. Wie Forschende erklären, handelt es sich bei dem Phänomen sehr früher Erinnerungen eher um Illusionen, derer sich die Personen nicht bewusst sind. Die Erinnerungen an frühste Begebenheiten sind demnach Konstrukte, aus späteren Erzählungen zusammenerinnert. Denn erst im Alter von ca. sechs Jahren beginnt der Mensch Erinnerungen zu bilden. Auch wenn echte Erinnerung später einsetzt, sind frühe (auch unechte) glückliche Erinnerungen wichtig, denn sie spielen eine entscheidende Rolle für unser psychologisches und emotionales Wohlbefinden. Je mehr schöne Erinnerungen wir sammeln, desto besser. Sie tragen zu einem positiven Selbstbild bei und stärken unser Identitätsgefühl. Sie können die Symptome von Angst und Depression verringern. Uns an glückliche Momente zu erinnern kann uns dazu inspirieren, Ziele zu verfolgen und Dinge zu tun, die uns Freude bereiten und eine optimistischere Lebenseinstellung fördern. Wer eine optimistische Lebenseinstellung hat, tendiert eher nicht dazu, Populisten zu wählen – davon bin ich überzeugt. Denn die AfD findet ihre Anhänger eher bei den Unzufriedenen und Missgünstigen.

Aber zurück zu den Asante. Von ihnen stammt auch die inzwischen oft zitierte Sankofa-Idee, die mit dem Adinkra-Symbol eines Vogels dargestellt wird, der nach vorne schreitet und dabei nach hinten blickt. Sankofa bedeutet, geh zurück und hole es, und ermahnt uns, die Vergangenheit nie zu vergessen. Denn nur mit der Erinnerung lässt sich Gegenwart verstehen und eine bessere Zukunft gestalten. Wir können gegenwärtige Weltordnungen und Ungleichheiten nur verstehen, wenn wir die Vergangenheit erinnern. So wurden ungleiche Handelsbedingungen zwischen westlichen Staaten und Afrika bereits zu Zeiten des transatlantischen Dreieckhandels etabliert und in der Kolonialzeit weiter ausgebaut. Sie wirken bis heute nach. Auch der wachsende Populismus wird dadurch genährt, dass viele Menschen die Vergangenheit scheinbar vergessen haben. Wie lange müssen wir uns an unrühmliche Zeiten erinnern? Ewig. Ganz im Sinne Sankofas, sagte Bundespräsident Steinmeiner neulich auf Kreta: „Wir können das Leid nicht ungeschehen machen. Aber wir müssen die Erinnerung daran wachhalten, damit nicht wieder geschieht, was einmal geschehen ist„. Wenn es uns wichtig ist, dass Geschichte sich nicht immerzu wiederholt und wir ein globales Gleichgewicht herstellen wollen, dann müssen wir eine gemeinsame Erinnerungskultur entwickeln. Und die schönen eigenen Erinnerungen pflegen. Welche Adowa-Schritte habe ich dem König vorgetanzt? Ähm… Oma wüsste es noch. Und ich? Ich habe weder Ahnung, in welcher Reihenfolge die komplizierten Bewegungen zu machen sind, noch was sie bedeuten. Aber ich erinnere mich, dass es immer schön war bei Oma. Und das ist das Wichtige. Positive Erinnerungen, die uns den Weg durchs Leben erleichtern. Lesen Sie auch HIER.

Kategorien
Film und Buch

The Outrun

Kampf gegen Dämonen
Einst verließ Rona (Saoirse Ronan) ihre langweilige Heimat auf den Orkney-Inseln für das hippe London. Doch schon bald verliert sie in der Großstadt mit dem verlockenden Nachtleben die Kontrolle. Party reiht sich an Party, der Alkoholkonsum steigt bis zur Sucht. Nach einer von zu vielen durchzechten Nächten mit Filmriss trennt sich ihr Freund Daynin (Paapa Essiedu) endgültig von ihr. Zu oft hat er Ronas Ausreden gehört und die Versprechen, nicht mehr zu trinken. Rona meldet sich bei den Anonymen Alkoholikern an, versucht trocken zu werden. Doch die Stadt mit den vielen Pubs, Bars und Clubs ist dafür ein zu gefährliches Pflaster. In ihrem Heimatkaff will sie endgültig trocken bleiben. So kehrt sie nach mehr als einem Jahrzehnt auf die Inseln zurück. Das alles erfahren wir in vielen Rückblenden, während Rona die Pfade ihrer Kindheit erkundet. Sie kümmert sich um ihren Vater, der allein auf einer einsamen Farm lebt, wo er mit seinen eigenen Dämonen kämpft. Sie streitet sich mit ihrer Mutter (Saskia Reeves), die seit der Trennung Zuflucht in der Kirche gefunden hat. Was Rona braucht, ist die totale Isolation. So mietet sie sich für den Winter auf der einsamsten Insel der Orkneys ein, wo sie sich als Vogelbeobachterin, allein in der kargen Natur, ihrer Vergangenheit stellt. Lange Spaziergänge bei Wind und Wetter, einsame Abende in der kleinen Hütte und Tagebucheinträge verschärfen ihren Blick auf die Vergangenheit und führen dazu, dass sie den Frieden mit sich, ihrer Herkunft und ihrem Leben sucht.

Saoirse Ronan glänzt in der Rolle als zerrissene junge Frau, die traumatischen Kindheitserinnerungen durch Alkohol zu entfliehen versucht und letztendlich merkt, dass man sich seinen Dämonen stellen muss. In jeder Einstellung und jeder Szene, meist in Großaufnahme, trägt Saoirse Ronan den Film mit ihrer konzentrierten Präsenz. Ihre Rona ist glaubwürdig bis zur Schmerzgrenze, ob sie die völlig Besoffene spielt, die am Straßenrand kotzt oder spätnachts zu fremden Männern ins Auto steigt, oder ihre prekäre Nüchternheit zu wahren versucht. Es gibt einen eindringlichen Moment im Film, in dem Rona bei einem AA-Treffen zugibt, das Glück zu vermissen, das ihr Alkohol gibt. Dabei schaut sie so verletzlich von der Leinwand, dass es einem fast das Herz bricht. Denn sie weiß genau, dass nur die schonungslose Konfrontation mit ihrem nüchternen Ich aus der Suchtfalle führen kann. Die Stürme und Orkane, das unbarmherzige Winterwetter auf den Orkneys, die Fingscheidt in vielen Einstellungen zeigt, spiegeln den inneren Kampf der jungen Frau wider. Ihre Verfilmung von Amy Liptrots gleichnamigem, mehrfach ausgezeichnetem autobiographischen Bestseller (Dt. Titel: Nachtlichter) ist das feinfühlige Porträt einer Sucht und dem Versuch, sie zu überwinden. Wie schon 2019 in „Systemsprenger“ zeigt Fingscheidt, wie kaputte Seelen entstehen. Gleichzeitig ist der Film eine Liebeserklärung an die Orkney-Inseln, dieses schroffe Stück Schottland, das selbst den meisten Briten ziemlich fremd ist.

Regie: Nora Fingscheidt

Lesen auf choices.de