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Gesellschaft und Umwelt Lifestyle und sonst noch

GlĂŒcklich erinnert

„Das GedĂ€chtnis ist das Tagebuch, das wir immer mit uns herumtragen.“ (Oscar Wilde). Mal scheint dieses Tagebuch vollgeschrieben zu sein, mal sind Seiten daraus scheinbar verschwunden. Woran erinnern wir uns? Woran wollen wir uns, woran sollten wir uns erinnern?

 

In meiner Familie wurde frĂŒher oft erzĂ€hlt, wie ich als 4-JĂ€hrige am Hof des Asantehene, dem König der Asante, getanzt habe. Im Kleinkindalter hatte ich den Adowa Tanz von meiner Oma in Ghana gelernt. Sie war sehr stolz, wenn ihre kleine „weiße“ Enkelin dort tanzte.

Ich sehe mich heute noch, wie ich, in Kente gekleidet, die anmutigen Handbewegungen und komplexen Schritte mache und das Publikum mein mini me bewundert. Moment mal. Sehe ich mich wirklich? Ganz ehrlich: ich habe keinerlei wirkliche Erinnerung an diese Geschichte. Ich erinnere vielmehr die ErzĂ€hlung darĂŒber, eine ĂŒbertragene Erinnerung. Die Erinnerung meiner Oma.

Es gibt Erwachsene, die erzĂ€hlen von Erinnerungen aus ihrem frĂŒhkindlichen Leben. Sie können von Kindergarten-Ereignissen berichten, oder von Dingen, die passiert sind, als sie noch krabbelten. Wie Forschende erklĂ€ren, handelt es sich bei dem PhĂ€nomen sehr frĂŒher Erinnerungen eher um Illusionen, derer sich die Personen nicht bewusst sind. Die Erinnerungen an frĂŒhste Begebenheiten sind demnach Konstrukte, aus spĂ€teren ErzĂ€hlungen zusammenerinnert. Denn erst im Alter von ca. sechs Jahren beginnt der Mensch Erinnerungen zu bilden. Auch wenn echte Erinnerung spĂ€ter einsetzt, sind frĂŒhe (auch unechte) glĂŒckliche Erinnerungen wichtig, denn sie spielen eine entscheidende Rolle fĂŒr unser psychologisches und emotionales Wohlbefinden. Je mehr schöne Erinnerungen wir sammeln, desto besser. Sie tragen zu einem positiven Selbstbild bei und stĂ€rken unser IdentitĂ€tsgefĂŒhl. Sie können die Symptome von Angst und Depression verringern. Uns an glĂŒckliche Momente zu erinnern kann uns dazu inspirieren, Ziele zu verfolgen und Dinge zu tun, die uns Freude bereiten und eine optimistischere Lebenseinstellung fördern. Wer eine optimistische Lebenseinstellung hat, tendiert eher nicht dazu, Populisten zu wĂ€hlen – davon bin ich ĂŒberzeugt. Denn die AfD findet ihre AnhĂ€nger eher bei den Unzufriedenen und MissgĂŒnstigen.

Aber zurĂŒck zu den Asante. Von ihnen stammt auch die inzwischen oft zitierte Sankofa-Idee, die mit dem Adinkra-Symbol eines Vogels dargestellt wird, der nach vorne schreitet und dabei nach hinten blickt. Sankofa bedeutet, geh zurĂŒck und hole es, und ermahnt uns, die Vergangenheit nie zu vergessen. Denn nur mit der Erinnerung lĂ€sst sich Gegenwart verstehen und eine bessere Zukunft gestalten. Wir können gegenwĂ€rtige Weltordnungen und Ungleichheiten nur verstehen, wenn wir die Vergangenheit erinnern. So wurden ungleiche Handelsbedingungen zwischen westlichen Staaten und Afrika bereits zu Zeiten des transatlantischen Dreieckhandels etabliert und in der Kolonialzeit weiter ausgebaut. Sie wirken bis heute nach. Auch der wachsende Populismus wird dadurch genĂ€hrt, dass viele Menschen die Vergangenheit scheinbar vergessen haben. Wie lange mĂŒssen wir uns an unrĂŒhmliche Zeiten erinnern? Ewig. Ganz im Sinne Sankofas, sagte BundesprĂ€sident Steinmeiner neulich auf Kreta: „Wir können das Leid nicht ungeschehen machen. Aber wir mĂŒssen die Erinnerung daran wachhalten, damit nicht wieder geschieht, was einmal geschehen ist„. Wenn es uns wichtig ist, dass Geschichte sich nicht immerzu wiederholt und wir ein globales Gleichgewicht herstellen wollen, dann mĂŒssen wir eine gemeinsame Erinnerungskultur entwickeln. Und die schönen eigenen Erinnerungen pflegen. Welche Adowa-Schritte habe ich dem König vorgetanzt? Ähm
 Oma wĂŒsste es noch. Und ich? Ich habe weder Ahnung, in welcher Reihenfolge die komplizierten Bewegungen zu machen sind, noch was sie bedeuten. Aber ich erinnere mich, dass es immer schön war bei Oma. Und das ist das Wichtige. Positive Erinnerungen, die uns den Weg durchs Leben erleichtern. Lesen Sie auch HIER.

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Film und Buch Gesellschaft und Umwelt

Konklave von Edward Berger

Mit einer Buchvorlage von Robert Harris kann bei einer Verfilmung kaum etwas schiefgehen: Der britische Journalist und Autor ist mit seinen spannenden Geschichten ĂŒber historische Ereignisse und politische Verwicklungen ein Bestsellergarant. Mit „Konklave“ sind nun bereits sechs seiner Romane verfilmt worden. Zwei Mal erhielt der Vielschreiber den CĂ©sar fĂŒr das beste adaptierte Drehbuch (2011 fĂŒr „Der Ghostwriter“, 2020 fĂŒr „Intrige“, beide von Roman Polanski verfilmt). Der EuropĂ€ische Filmpreis 2010 fĂŒr das beste Drehbuch ging ebenfalls an Robert Harris. Auch Regisseur Edward Berger ist mehrfach ausgezeichnet. Sein letzter Film „Im Westen nichts Neues“ wurde neun Mal fĂŒr den Oscar nominiert. Ein Dream-Team also, von dem man spannende Kinounterhaltung erwarten kann und auch bekommt.

Wann steigt der Rauch?

Der Papst ist unerwartet verstorben und nun muss ein neuer gewĂ€hlt werden. Vor seinem Tod hat der Pontifex den Kardinaldekan Lawrence (Ralph Fiennes) mit der Aufgabe betraut, die Wahl zu beaufsichtigen. Diese gestaltet sich aber als enorm schwierig, denn unter den aus aller Welt angereisten katholischen WĂŒrdentrĂ€gern herrscht alles andere als Einigkeit. Verschiedene Gruppierungen bilden sich, wĂ€hrend Intrigen geschmiedet werden und GerĂŒchte ĂŒber einzelne KardinĂ€le die Runde machen. Konservative gegen Reformwillige, KirchenmĂ€nner aus dem globalen Norden gegen jene aus dem globalen SĂŒden. Kann und darf ĂŒberhaupt ein Nigerianer Papst werden? Die christliche Ideologie der Gottes- und NĂ€chstenliebe tritt ganz in den Hintergrund, wĂ€hrend sich die verschiedenen Lager auszustechen versuchen. Wahlgang um Wahlgang kann kein Kandidat die erforderliche 2/3-Mehrheit der Stimmen des Konklaves fĂŒr sich gewinnen. Immer wieder appelliert Kardinal Lawrence an die GottesmĂ€nner, sich nur von ihrem Gewissen und dem Wohl der Kirche leiten zu lassen. Doch die verschiedenen Lager kĂ€mpfen nur um den eigenen Vorteil. Wer nicht bereits aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, tut es vielleicht nach diesem Film, der einen vermutlich sehr realistischen Blick hinter die Kulissen dieser Weltkirche bietet, in der es allein um Macht zu gehen scheint. Die Vehemenz, mit der die Konservativen um Kardinal Tremblay (John Lithgow) jede Reform verhindern wollen und dabei auch zu unlauteren Mitteln greifen, zeigt eine erschreckende Seite der Kirche. HIER weiterlesen …

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Gesellschaft und Umwelt

Zum Schlafen und Essen verdammt

„Arbeit ist das beste Mittel gegen Verzweiflung“, konstatierte einst Sherlock Holmes Erfinder Sir Arthur Conan Doyle. Es ist auch das beste Mittel fĂŒr die Integration von Menschen in eine Gesellschaft. Das zu erkennen braucht keinen detektivischen Sinn.

 

Anfang 2022 richtete Orkan Zeynep erhebliche SchĂ€den an. Auch bei mir. Herumfliegende GegenstĂ€nde trafen eine Sprossen-Fensterscheibe. Bis heute hat sie einen Riss. Nicht etwa, weil ich Wabi-Sabi AnhĂ€ngerin bin, sondern weil sich kein Glaser findet. Nicht nur Glaser sind knapp. Landesweit werden FachkrĂ€fte in allen möglichen Branchen gesucht. Es gibt zu wenig Handwerker:innen, Pfleger:innen, Lehrer:innen. Selbst Putzhilfen, die frĂŒher die Kleinanzeigen mit ihren Diensten fluteten, sind heute verschwunden. Der viel bejammerte FachkrĂ€ftemangel.

In einer Gesellschaft mit mehr alten als jungen Menschen gibt es logischerweise auch weniger Azubi-Nachwuchs. Deutsche Unternehmen sind daher auf auslĂ€ndische FachkrĂ€fte angewiesen. Deshalb hat die Bundesregierung schon 2012 das sogenannte Anerkennungsgesetz eingefĂŒhrt, um FachkrĂ€fte aus dem Ausland anzulocken. 400.000 mĂŒssten es jĂ€hrlich sein, laut EinschĂ€tzung der Regierung. 2023 wurden 48.546 AntrĂ€ge gestellt. Gestellt, nicht beschieden. *Denn Deutschland ist bei hochqualifizierten FachkrĂ€ften nicht das Land der ersten Wahl. Sie kommen nicht in Scharen. Und wenn, dann sorgen die komplizierten Anerkennungs-HĂŒrden dafĂŒr, dass manche Ärztin als Arzthelferin, mancher PĂ€dagoge als Taxifahrer und mancher erfahrene Klempner nur noch als Handlanger arbeitet. Am 1. MĂ€rz wurde das Gesetz vereinfacht. AuslĂ€ndische FachkrĂ€fte sollen nun schneller ihre Berufe anerkannt bekommen. (…)

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